Einmal Selbstwertgefühl mit allem, bitte

Ich habe schon lange aufgehört V-Ausschnitte zu tragen. Zu einer Zeit, als Männer gerade begannen, diese Mode für sich zu entdecken, habe ich für mich entschieden, dass dicke Frauen ihre Brüste als Ausrede dafür brauchen, sich begehrenswert zu fühlen. Tja, so einfach gestrickt wollte ich nicht sein. Seither gibt es mein Dekolletee bestenfalls im Rhythmus von Serienfinalen zu sehen: Alle halb Jahre mal. Woher aber kommt diese Einstellung?

Ich habe lange gezögert einen Text über „being the fat girl“ zu schreiben. Denn wie alles, was mit Medien zu tun hat, werden nicht nur dicke Frauen von ihren Hollywood-Equivalenten verfolgt. Alte Männer sind weise, blonde Frauen doof, Menschen mit Brille intelligent. Ich kenne zu jedem dieser Beispiele mindestens jemanden, der das widerlegt. Ich könnte also einfach mal damit aufhören, eine übersensible Sissy zu sein und wie Bridget Jones meinen Weltschmerz in meinem Tagebuch festhalten.

Ich wünschte irgendwie fast, dass ich die Sache auf sich beruhen lassen könnte. Es wäre einfacher und würde mich auch nicht so angreifbar machen. Zu oft wird „Ich bin ok, so wie ich bin“ als „Du bist nicht ok, so wie du bist“ verstanden. Das ist ganz sicher nicht mein Aussagewunsch. Und wie immer, wenn es um Diskriminierung geht, ist es ziemlich einfach, das alles ins Lächerliche zu ziehen. Doch genau das ist das Problem: Dicke Frauen sind zu oft die Punch-Line eines schlechten Witzes.

In jeder zweiten Liebeskomödie stolpert eine dicke Frau der Hauptprotagonistin in Highheels und zu engen Kleidern nach. Sie ist tollpatschig, zu laut, zu auffällig und aufdringlich. Hollywood hat in jüngster Vergangenheit fett zum Synonym von hemmungslos gemacht.

Die Grenzen des Geschmacks sind umstritten. Und klar, „Dick und Doof“ hat  schon im Schwarz-Weiss-Fernsehen prima funktioniert. Wenn ich dann beim Abwaschen der Pfeffermühle in einem olympiaverdächtigen Hechtsprung nachspringe, weil sie mir mal wieder aus der Hand gerutscht ist, tue ich nicht gerade mein bestes, um die Welt von der subtilen Eleganz und Grazilität einer dicken Frau zu überzeugen.

Das kennt ihr vermutlich auch. Sobald man etwas tut, was nur entfernt mit einem Stereotypen zu tun hat, hat man ganz plötzlich das Gefühl, den umstehenden Menschen beweisen zu müssen, dass man eben nicht diesem Stereotypen entspricht. Weiss eine Blondine nicht, dass Südafrika ein Land ist, zählt sie dir dann vielleicht die ersten, eigens für solche Begebenheiten auswendig gelernten, 20 Stellen von Pi auf. Ich hingegen setzte dem Stereotypen der vorlauten dicken Frau dann, eigens für solche Situationen vorbereitete, tiefschürfende Rotweingespräche entgegen. Denn was Hollywood glücklicherweise zu vergessen scheint: Fett macht trinkfest. Ich habe am Abend in der Bar dann eher das Problem, zu viele Hemmungen zu haben. Flirten? Nicht so meine Stärke. Aber ich arbeite daran.

Ganz anders meine Freundinnen im Film. Sie schmeissen sich einfach an alles ran, was auch nur entfernt männlich ist. Anders als in Scarlett Johansson oder Julia Stiles verliebt sich in der Filmrealität nämlich kein Darcy oder Patrick Verona in eine dicke Frau. Daher – so die filmische Schlussfolgerung – hat sie keine Möglichkeit wählerisch oder gar zurückhaltend zu sein.

Das vielleicht ironischste an der ganzen Sache: Schauspielerinnen wie Rebel Wilson und Melissa McCarthy sind im echten Leben geschmackvoll gekleidete und selbstbewusste Frauen. Aber eben:  nur off camera.

In einer für mich typischen „ich-bin-anders-Aktion“ habe ich also eines Tages entschieden, kaum mehr Dekolletee zu zeigen. Mittlerweile bin ich aber wieder so weit, dass ich bereit bin, mehr Haut zu zeigen. Der Assoziation, die auch nur ein bisschen zu viel Haut bei einer dicken Frau  (in meinem Kopf) auslöst, möchte ich trotzdem nicht ausgeliefert sein.

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