Normalerweise scrolle ich durch meine Timeline, um mich zu informieren. Über meine Freunde, über deren Bekannten und deren fernen Verwandten und ihr neues Haustier. Vor allem aber um News zu konsumieren. Diese werden erstaunlich oft durch Rezepte und oder Ernährungstipps unterbrochen. Von Medien, die ich eigentlich zu Informationszwecken und nicht Beratungszwecken abonniert habe.
Ernährungsberatung ist fast so alt, wie der Mensch selbst. Oder zumindest so alt, wie die Idee, dass wir besser sind als die anderen Lebewesen und die Spielregeln dazu schriftlich festhalten müssen. Die Bibel rät zu einer Ernährung aus Früchten, Getreide, Nüssen, Hülsenfrüchten und reinem Fleisch. Wenige tausend Jahre später hat die Ernährungsberatung eine eigene Abteilung in der Buchhandlung, einen eigenen Marktzweig und ein Diätprogramm mit Punktesystem.
Da ich die Bibel nicht immer gleich zur Hand oder allgemein wenig finanzielle Ressourcen für Bücher habe, die mir sagen, wie ich leben soll, muss ich mich halt von anderen Medien beeinflussen lassen. Die Süddeutsche Zeitung hat mehrere Diäten analysiert und verlinkt von diesen Artikeln aus auf ihre Rezeptseite. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beobachtet und beschreibt Trends, immer aus der gefühlt allwissenden Sicht eines Silber-Schläfen-Trägers. Während VICE eine Mischung aus Selbstversuch und Zukunftsforschung betreibt. Mein Lieblingstitel: «Wie du dir ein leckeres Frühstück aus der Scheide zauberst». Spoiler: Tu es lieber nicht.
Klar: Trends kritisch und aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten ist Teil der Berichterstattung. Trotzdem finde ich es schwierig, wenn ein Journalist Tipps zur Ernährung abgibt. Schliesslich sind sie (auch wenn das oft vergessen geht) Menschen. Mit einer Meinung. Und einem Verdauungstrakt. Was du dir aus der Scheide zauberst, ist nicht jedermanns Superfood. Der Mensch hat sich am beeinflussbaren Ende der Nahrungskette breit gemacht – umso schwieriger, wenn jeder etwas über Ernährung weiss, da sie eigentlich etwas sehr Individuelles ist. Artikel und Ratgeber zur Ernährung führen meiner Meinung nach mit dazu, dass keiner mehr so genau weiss, was gutes Essen für ihn ist.
Trotzdem: Literatur und Journalismus halten der Gesellschaft nur den Spiegel vor. 1921 kam in den USA das Wonderbread auf den Markt – ein Brot, das in Europa höchstens als Gespenst Karriere gemacht hätte: weiss, labbrig und in Stücke geschnitten. Das Weizenmehl des Wonderbreads wurde so lange behandelt, bis es keine Nährstoffe mehr hatte, nur damit ein Markt geschaffen wurde, um Vitamine künstlich dem Brot hinzuzufügen und es dann als Wunderwaffe verkaufen zu können. Die Kinder des Wonderbread, die Superfoods und Tutorials zu Pizza mit Pommes-Belag oder Buddha-Bowls mit Zutaten aus der ganzen Welt, haben das Internet und deren Anhänger längst für sich gewonnen.
Wieso können wir Menschen nicht einfach essen, ohne Kalorien zu zählen, Diät zu machen oder alle Fastfoods miteinander zu kombinieren und dann #foodporn zu frohlocken? Kühe, Wale, Hasen, Regenwürmer und Tiger schaffen es schliesslich auch ohne. Tiere haben aber auch nicht die Globalisierung ins Leben gerufen und es dann eine gute Idee gefunden, exotische Nahrungsmittel um die halbe Welt zu fliegen. Nur um etwas anderes zu essen, als sie eigentlich umgab. Zu dem sie eine direkte Beziehung hatten. Ein Bewusstsein.
Ich denke, dass uns Menschen dieses Bewusstsein zu einem grossen Teil verloren gegangen ist. Und jetzt irgendwo zwischen Weight-Watchers Joghurt und Quinoa in den Supermärkten dieser Welt in Fötusstellung weint. Und seit wir nicht mehr wissen, woher Nahrungsmittel kommen, mit welchem Aufwand sie gepflanzt, verschifft oder gezüchtet wurden, brauchen wir diese Beratung, diese Trends und diese Absicherung.
Quellen
Süddeutsche Zeitung über Diät
Frankfurter Allgemeine Zeitung über vegane Ernährung
VICE über Frühstück aus der Scheide
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