Was, wenn du fliehen müsstest? So wie Millionen Menschen in diesem Moment fliehen? Als die Völkerwanderungen in 2015/2016 ihren Höhepunkt fand (auch wenn sie ohne Zweifel immer noch im Gange ist!), hat Schweden die meisten Flüchtlinge pro Kopf aufgenommen; etwa 200 000 in kürzester Zeit. Migration war hier fester Bestandteil der Berichterstattung – trotzdem fiel es mir schwer, das Ausmass der Situation zu verstehen. Seit fast einem halben Jahrzehnt war Schweden Zufluchtsort für Flüchtlinge, Menschen aus anderen Nationen sind also ein Teil unserer Gesellschaft. Die Zuwanderung war jetzt aber an einem völlig neuen Punkt gekommen. Freiwillige arbeiteten Tag und Nacht und versuchten so, die Ankunft für die Menschen in Not zu erleichtern. Es waren diese Menschen, die mich dazu inspirierten, selber etwas zu tun.
Jeden Tag kamen mehr Flüchtlinge an mein Gymnasium. Ich denke, das ganze Land war überrumpelt von der starken Zuwanderung, niemand verstand wirklich, was vor sich ging. Ich bemerkte zum Beispiel, wie sich in der Cafeteria an meiner Schule ein Graben auftat: zwischen Schweden und Flüchtlingen. Das hat mich sehr beunruhigt. Die Segregation fand vor aller Augen statt – ich konnte nicht mehr länger nur zusehen. Jeder Mensch hat die Möglichkeit, Mitgefühl zu zeigen und daher dachte ich: Wenn ich eine Veränderung will, muss ich es selber tun.
Eines Tages fiel mir ein Junge in der fast leeren Cafeteria auf, er sass mit dem Rücken zu mir. Ich war mit Freunden gekommen und hätte mich wie immer mit ihnen an einen Tisch setzen können, aber wieso sollte ich den Jungen ausschliessen? Ich machte auf dem Absatz kehrt und frage ihn, ob bei ihm noch ein Platz frei sei. Ich werde die Freude in seinen Augen nie vergessen. Hamid, ein 17-jähriger Afghane, und ich verbrachten die gesamte Mittagspause zusammen. Wir brachten einander zum Lachen und ich merkte, dass ich seinen Tag gerettet hatte. Und er meinen.
Von da an hatte ich keine Scheu mehr und ging auf die neuen Schüler zu. Zusammen mit einigen Freunden, allen voran Hamid, gründete ich ein internationales Komitee an meiner Schule – das Ziel: Begegnung zwischen den Schülern, Vorurteile zu überwinden und internationale Freundschaften zu schliessen. Der Plan ging auf: Sport, Ausflüge, Museums- und Theaterbesuche sind nur einige der Aktivitäten, die wir zusammen geniessen. Ich habe das Gefühl, dass ich für viele Flüchtlinge in meiner Gemeinde etwas verändern konnte – ohne die Hilfe meiner Freunde wäre es aber nie möglich gewesen. Der durchgängige «Wir schaffen das zusammen» – Gedanke in der Gesellschaft war ein starker Rückhalt für mich. Und, zu sehen, wie sich Zivilisten an der Integration beteiligten, ist nach wie vor eine Inspiration. Wenn du auf der Flucht wärst, würdest du dir nicht wünschen, mit Würde behandelt zu werden? Wir können alle einen Unterschied machen, auch du. Nicht morgen, sondern heute.
Cornelia ist 20 Jahre alt und lebt in Stockholm.
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