Brauchen wir kulturelle Aneignung?

Ein Bild von deiner Abschlussfeier im falschen Kleid und schon gehst du viral. Diese Erfahrung musste jüngst eine amerikanische High School Schülerin, die zur Feier des Tages ein chinesisches Kleid trug, machen. Der Vorwurf: cultural appropriation – kulturelle Aneignung.

Netta, Madonna, Nicki Minaj: Künstlerinnen und Künstler müssen sich dem Vorwurf der kulturellen Aneignung regelmässig stellen. In kleineren und grösseren Shitstorms versuchen ethnische Minderheiten ihr kulturelles Erbe zu wahren.

Hält man sich an eine gemässigte Definition des Begriffes, ist kulturelle Aneignung dann nicht ok, wenn sie aus Ignoranz geschieht. Trage ich, als privilegierte weisse Europäerin aus einer Modelaune heraus Dreadlocks, wechsle aber die Strassenseite, wenn mir am Abend ein Senegalese begegnet, kratzt das schon an mehr als einfach kultureller Aneignung. Zudem geht es auch um ein Machtgefälle: Die Mehrheit – in Europa Weisse – macht sich das Erbe einer Minderheit – des Sengalesen – zu eigen. Die Rede ist hier zum Teil auch von einer Art kultureller Kolonialisierung.

Alle klauen von allen

Das Problem: Irgendwie sind die Grenzen nicht so klar. Während bei Yoga und Kaffee keiner mehr von cultural appropriation redet, wird es bei einem chinesischen Kleid zum Thema. Dumm nur, dass die Chinesen dieses auch schon von einer Minderheit übernommen haben: Ursprünglich war der Qipao, also das Kleid, dass die Schülerin trug, eine Tracht der Mandschus. Wiederum ihrerseits eine Minderheit im Reich der Mitte.

Der Vorwurf der cultural appropriation nimmt schon wirre Züge an, wenn, um den Vorwurf wahlweise zu belegen oder widerlegen regelrecht Ahnenforschung betrieben wird. Der jüngste Auftritt von Nikki Minaj in Saturday Night Live sorgte seinerseits für Unmut. In einer Art Geisha Kostüm und mit breaktanzenden Ninjas inszenierte sie Ihren Song «Chun Li». Minaj inkorporiert in Videos und Kostümen gerne einen asiatischen Stil und nennt sich selbst «Harayuku Bitch». Schamlose Kommerzialisierung und kulturelle Aneignung?  So einfach ist das nicht. Minaj stammt aus Trinidad-Tobago. Ein afrikanisches Land mit asiatischem Einfluss. Zudem ist sie zu einem kleinen Teil Inderin. Und hat sie nicht mal getweetet, dass ihr Urgrossvater Japaner wäre?

Es ist kompliziert.

Dazu kommen Animefans, die Son Gokus Hautfarbe auf Schwarz ändern weil sie in ihm die Identitätsfindung der Schwarzen in Amerika wiedererkennen. Aber eigentlich basiert ja die Serie «Dragonballs» auf einer (chinesischen) Sage. Umgekehrt bräunen sich in Japan angehörige einer Hip-Hop-Subkultur bis ins Hautkrebsschwarz und versuchen so «cool» zu sein wie Afro-Amerikaner.

Auf der Suche nach einer Identität gibt es viele Grautöne. Die einen glätten ihre Haare um besser akzeptiert zu werden, die anderen bräunen sich, um genau das Gegenteil zu erreichen.

Die Diskussion rund um cultural appropriation – die Frage nach Diskriminierung, Kommerzialisierung und Identität – ist mehr als gerechtfertigt. Unter dem Hashtag einen Shitstorm zu veranstalten bringt aber wenig. Doppelte Diskriminierung bringt noch keine Gerechtigkeit. Sie verhindert geradezu eine Auseinandersetzung damit, was noch werden könnte. Und stösst gerade all jene vor den Kopf, die damit aufgeklärt werden sollten. Er trennt, wo wir von einander profitieren könnten. Denn das Endziel – und korrigiert mich, wenn ich das falsch verstanden habe – ist doch, dass wir in gegenseitigem Respekt miteinander Leben können. Und uns so weiter entwickeln können.

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