«Aus Sicherheitsgründen möchten wir Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie unter keinen Umständen fremde Gepäckstücke annehmen dürfen.»
Am schwierigsten ist es immer, die Kinder am Flughafen unter Kontrolle zu halten. All die Linuse, Lenas und Leos wollen unterhalten werden – oder es gibt Stress. Alt aber bewährt sind zur Unterhaltung nach wie vor Plüschtiere. Singen funktioniert auch, aber nur einige Minuten lang. Dann besinnt sich Linus wieder auf seinen Missmut und führt das Schreikonzert fort. Besonders geschickt, das muss ich zugeben, hat das Kleinkindproblem ein Vater gelöst: Seine dreijährige Tochter reitet auf einem Hündchen mit Rollen. Papa führt das Hündchen an der Leine. So merkt die Kontrollierte nicht einmal, dass sie kontrolliert wird.
Ich wähne mich im Kinderparadies: An diesem Montagnachmittag hat es bemerkenswert viele Kinder am Flughafen Basel. Vielleicht, weil gerade die Flüge nach Dresden, Hamburg und Istanbul abfliegen und vielleicht, weil am frühen Nachmittag weder Geschäftsleute noch Kleinkinder übermüdet sind.
Ich für meinen Teil habe mir vorgenommen im Flugzeug zu schlafen. Misstrauisch mustere ich die Menschenmasse. Vieviele missmutige Minions werden auf meinem Flug nach Milch und Süssigkeiten schreien? Wie so viele Menschen verfalle auch ich immer wieder in die Wahnvorstellung, dass in den Ferien plötzlich alles besser wäre. Durch die Flucht an einem exotischen Ort – okay, naja, nach Hamburg, möchte ich meinen Sorgen entkommen. Blöd nur, dass es mittlerweile überall WLAN-Hotspots in betrieb sind und ich auf meinem Tripp nach Deutschland nicht einfach vom Erdboden verschwinde. Ganz anders sieht das während des Fluges aus. Da ist es mir sogar verboten, mein Handy zu benutzen. Darum bin ich mir sicher: Problemlos verlaufen Ferien nur in der kurzen Zeit, in der ich zusammen mit 150 fremden Menschen und einem halben Dutzend Babys 10’000 Meter über dem Erdboden schwebe und es mir dort an meinem Fensterplatz bequem machen kann. Bis zu meinem Platz – 22F – ist es aber noch ein weiter weg.
Bewundernd sehe ich einer Mutter mit drei Kindern zu, wie sie die Kleinen – einer Schafherde gleich – zur Gepäckkontrolle treibt. Der Vierjährige will ausreissen, tappt in die falsche Richtung, schon umschliesst eine mütterliche Hand die seine. Dann dreht sich die Zwölfjährige genervt weg. «Lea, kommst du?» Etwas weiter hinten geht eine Frau mit Faux-Fur-Mantel und Teenagesohn zielstrebig Richtung Starbucks. Er wirft dabei missmutig seine langen Fransen von einer Seite des Gesichtes zur anderen. Ich – froh, mich nur um mich und mein Gepäck kümmern zu müssen – schreite gespielt selbstsicher zur Gepäckkontrolle. Leider bin ich aber noch nicht die erprobte Jetseterin, die ich gerne wäre.
Ich weiss nicht, was Kontrollen an sich haben, dass sie mich immer nervös machen. Sei es nun die Polizei auf Streife oder die Dame bei der Gepäckkontrolle: Immer habe ich ein schlechtes Gewissen. «Sind das die einzigen Elektrogeräte, die sie bei sich tragen?» «Ja, ähm, also, ausser meinem Handy natürlich.» «Flüssigkeiten? Das sind alle, die sie dabei haben, Madame?» «Äh, ja.» Aber, also, ich bestehe zu 70 Prozent aus Wasser, füge ich in Gedanken hinzu. Als ich den Metalldetektor passiere, ist der ältere Herr, der mich kontrollieren sollte, so sehr damit beschäftigt ungläubig auf die Stiefel meines gegenüber zu starren, dass ich für einmal ohne zusätzliche Kontrolle zu meinem Gepäck darf. Plastic is fantastic – vor allem wenn ich deswegen meine Schuhe nicht ausziehen muss.
Das haben sich auch die Hersteller für die Ware im Duty Free Shop gedacht. Eigentlich ist es ja bekannt: Mit dem Versprechen, günstiger zu sein, lässt sich am meisten Geld verdienen. 10 Franken für eine aus Polyethylen hergestellte «I <3 Switzerland»-Tasse? Gekauft. Die Schweizer Spezialität, Konsumgüter zu überteuern, wird auch im Duty Free hoch gehalten – aber womöglich ist das ein weltweiter Trend. Unter dem Vorwand eines Souvenirs wird hier auch rosa «Bonbonsirup», ein Likör mit dem Namen «Cariboupisse» und unendlich viele Weissweine mit nichtssagenden Etiketten verkauft. Das direkt neben den Buntstiften. Daneben reihen sich wiederum Vodka, Gin und Tequila in allen Formen und Farben aneinander, während Romeo und Juliet kurze Churchills bei den Tabakwaren verkaufen. Positive Message: Immerhin hat die beiden nicht das Rauchen umgebracht. Da haben wir’s wiedermal. Rauchen ist gesünder als die Liebe. Jobangebote für’s Tabakwarenmarketing könnt ihr mir jederzeit per E-Mail zukommen lassen. Kümmert ja keinen, dass ich Nichtraucherin bin.
«Achten Sie darauf, dass Sie ihr Gepäck immer bei sich tragen und nicht unbeaufsichtigt stehen lassen.»
Während mich die patronisierenden Durchsagen langsam nerven, habe ich im Duty Free schon die Orientierung verloren. Bin ich nicht einmal im Kreis gelaufen? Aber die 1 Kilogramm Schokolade war vorhin nicht hier. Und woher kommt plötzlich der Vikoria Secrets Shop? Die Mischung aus Protz, Kitsch, Billig- und Quengelware nimmt spätestens bei der Bücherauswahl ungeahnte Auswüchse an: Neben Kinderbüchern in Türkischer Übersetzung und wider erwarten mehr Fantasy- als Kitschromanen (nicht einmal Fifty Shades of Grey war vorhanden) gibt es drei «Sachbücher» zu kaufen: «Der Spaziergänger von Aleppo», «Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen» und ein Unternehmensratgeber eines Digital Natives für attraktivere Arbeitsplätze.
Während ich die Auswahl an Alkoholika, Tabakwaren und Süssigkeiten betrachte – man gönnt sich ja sonst nichts, schon gar keine zwei Liter Zitronenvodka – gleiten an mir selbstbewusste FlugbegleiterInnen und Vielflieger vorbei. Während erstere nach wie vor wie aus einem Werbespot in den 50ern gekleidet sein tragen Zweitere so etwas wie eine Jetset-Uniform, die in erster Line aus viel Jeansstoff, «von der Sonne aufgehellten» Haaren und Lederschuhen besteht. Ein T-Shirt fällt mit besonders ins Auge: Es trägt die Aufschrift «your loss, Babe». Sofort wünsche ich mir eines mit der Aufschrift «destroy my baggage, Babe».
«Unbeaufsichtigtes Gepäck wird vernichtet. Unattended baggage will be destroyed.»
Ob gross oder klein: Im Duty Free Bereich gehen Wünsche in Erfüllung, von denen wir noch nicht einmal gewusst haben, dass wir sie hatten. Auch ich konnte nicht widerstehen und habe mir ein Bierglas gekauft. Also eigentlich ist es eher ein Becher. Doppelwandig. Mit einer gelben Flüssigkeit und Schaumstoffkügelchen, die Bierschaum imitieren sollen. Es hat mich zu Lachen gebracht, Okay?
Während Fluggäste wie ich die Wartezeit mit nutzlosem Shopping und zynischen Gedanken verbringen, gibt es andere, zielstrebigere, die bereits mehr als eine Stunde vor der Öffnung des Gates davor kampieren. Zuerst am Boden hockend, dann im Stehen auf die Abschrankungen gestützt, warten sie darauf, den besten Platz zu ergattern. Und vor allem: Nicht ihr Handgepäck abgeben zu müssen. Ich hingegen habe nichts dagegen, meine Baggage loszuwerden. Und wenn es nur einen Flug lang ist.
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